„… das Gefühl für die Wirklichkeit verloren“

Inga mit ihrer Mutter vor der Unterkunft

Die 42-jährige Inga lebte glücklich und zufrieden in dem Dorf Vardashat in Arzach. Sie hat eine angeborene Behinderung, die es ihr schwer macht, sich selbstständig zu bewegen. Ihre Mutter und ihr 2014 verstorbener Vater taten alles, um sie zu unterstützen und ihr das Leben zu erleichtern. Doch das Leben, wie sie es kannte, endete mit dem erneuten Angriff auf Arzach durch Aserbaidschan. Dieser Angriff zwang Inga und ihre Mutter Hasmik (64) zur Flucht. Heute leben die beiden Frauen in der Region Masis, nicht weit von Jerewan entfernt. Sie konnten nichts mitnehmen, es fehlt noch immer an vielen Dingen. Aber sie sind dankbar für die Hilfe, die sie erhalten, und wissen, dass es mit Gottes Hilfe weitergeht. Dennoch sitzt der Schock tief.

„Wir leben von Tag zu Tag, wissen nicht was morgen passiert. Wir haben vollständig das Gefühl für die Wirklichkeit verloren“, beschreibt Hasmik.

Doch die Flucht war unumgänglich, denn selbst Menschen mit Behinderung und ältere Menschen sind nicht vor Kriegsverbrechen sicher. Dies erfahren wir von einer anderen Familie, die nun in Jerewan lebt. Sie war während des Krieges 2020 vorübergehend aus ihrem Heimatdorf in einen Nachbarort geflohen. Weil sie nicht alle Familienmitglieder mitnehmen konnte, blieben die Großeltern zurück, in der Annahme, dass alten Menschen schon nichts geschehen werde. Als die Familie nach ein paar Tagen zurückkehrte, fand sie die Großeltern tot und verstümmelt auf dem Sofa sitzend.

Ein Mann, drei Frauen und ein kleiner Junge sitzen auf einem Sofa, zwei junge Frauen stehen daneben
 

Der 49-jährige Grigor, der mit seiner Familie nun in Masis lebt, hat im Krieg 1993 einen Bruder und 2020 einen seiner Söhne verloren.

„Damals ahnte ich nicht, dass ich eines Tages nicht einmal mehr das Grab meines Sohnes würde besuchen können. Jetzt schaue ich meinen fünfjährigen Enkel Karen an und frage mich, was als nächstes kommt.“

Grigors Eltern fällt der Neuanfang besonders schwer. Der Vater ist bereits über 80 und sorgt sich, wie es mit ihm weitergehen soll.

Insgesamt ist die Lage für die Flüchtlinge weiterhin kritisch. Viele der Vertriebenen haben immer noch keine Arbeit, kein Einkommen, kein Zuhause. Manche Familien sind vorübergehend bei Verwandten untergekommen. Es gibt Kinder, die noch nicht zur Schule gehen können. Etliche Menschen leiden unter Angstzuständen und Schlaflosigkeit. Die meisten der geflüchteten Familien möchten sich nicht in den Grenzgebieten zu Aserbaidschan ansiedeln, da sie Angst haben, dort erneut angegriffen zu werden.

Die Psychologin des DCF Nazeli Grigorjan berichtet, dass zahlreiche Kinder sich selbst die Schuld geben und sich fragen, was sie falsch gemacht haben. Jetzt suchen sie Freunde und wollen sich an die neue Umgebung anpassen. Dabei spielt auch immer noch häufig der Kampf um das tägliche Brot eine Rolle. Die Angst, in der Armut steckenzubleiben, ist groß.

Die Menschen benötigen weiterhin psychologische Betreuung. Sie müssen Miete zahlen. Sie brauchen Arbeit oder eine Ausbildung, dazu Dinge des täglichen Lebens wie Nahrung, Hygieneartikel, Kleidung, Medikamente und Heizmaterial.

Mit Ihrer großzügigen Unterstützung konnten wir bereits vielen Menschen helfen. Herzlichen Dank dafür!

Projekt 1247

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